Prolog Mit aller sprachlichen Behutsamkeit mussten zum einen das bisher Erreichte gewürdigt, aber auch die aktuellen Herausforderungen bestimmt werden. Und die Bilanz fiel durchaus positiv aus: Innerhalb eines Jahrzehnts hat sich das Unternehmen – bei attraktiver Rendite – von 900 Mio. Euro auf 1.500 Mio. Euro entwickelt; mit guten Qualitätsprodukten, mit Investitionen in die Marke und Kundenbeziehungen sowie mit Zukäufen in internationalen Märkten. Eine gute Basis, um das Unternehmen beschleunigt nach vorne zu treiben, wie von den Gesell- schaftern erwartet. Die Planung sieht dementsprechend anspruchsvoll aus: Organische Umsatzsteigerung von 50 Prozent in den nächsten fünf Jahren, immerhin ein CAGR von über 11 Prozent, bei mindes- tens gleichbleibender Rendite. Die dahinterliegende Strategie wurde als schlüssig aufgenom- men: Eine neue Generation von Produkten und eine verstärkte internationale Expansion als Kerntreiber des zukünftigen Erfolgs, die Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Digitalisierung zur engeren Vernetzung mit den Kunden und Märkten, hohe Investitionen in die Erweiterung der Werke sowie auch eine deutliche Erweiterung der personellen Ressourcen. Dem Punkt „Organisation und Mitarbeiter“ jedoch widmet die neue Geschäftsführung in der Sitzung bewusst nur einen kleinen Raum. Wohl wissend, dass dies eine große Baustelle ist, deren vertiefende Beleuchtung viele geschriebene und ungeschriebene Regeln des Unter- nehmens berührt. Denn eins ist der Geschäftsführung klar: So, wie das Unternehmen heute aufgestellt ist, und so, wie die Kultur heute ausgeprägt ist, ist ein Wachstum in der Größenord- nung nicht zu machen. Die „Fieberkurve“ zeichnet ein Bild mit funktionalen Silos und starker Tendenz zur Selbstoptimierung: mit einer hohen Personenzentrierung u.a. auf die ehemalige Familien-Geschäftsführung, mit vielen Einzelfallregelungen anstatt klarer Prozesse sowie inter- nationalen Einheiten mit ausgeprägtem Eigenleben. Die Führungskräfte und Mitarbeiter: Im Durchschnitt fachlich gut und motiviert, aber auch mit erkennbarem „Silo-Denken“ und in Teilen „gelernter Unselbständigkeit“. Der Erfolg der vergangenen Jahre hat auch zum Überdecken so mancher personeller Leistungslücken geführt, zwischen Top-Leistung und Nicht-Leistung wird in der Konsequenz kaum differenziert. Um zunächst jedoch die Wachstumsstrategie „durch die Tür zu bekommen“, weist der letzte Strategiepunkt nur auf eine erforderliche Ausrichtung der Organisation auf Wachstum hin, mit der Ankündigung, hierzu in zwei Monaten ausführlich über die Beobachtungen und die Agenda zu berichten. Der Geschäftsführung ist einerseits klar, dass einiges passieren und schnell ein umfangreiches Programm gestartet werden muss. Ihr ist auch klar, dass für den Umbau Grenzen zu beachten sind: Die Kultur des bisher erfolgreichen Familienunternehmens, die guten Beziehungen zur Mitbestimmung, die Wahrnehmung des Unternehmens als einstellendem, aber nicht entlassen- dem Arbeitgeber und die regionale Lage des Unternehmens mit eingeschränkten Möglichkei- ten, Top-Talente aus entfernteren Großstädten zu gewinnen. 3