Entfesseln der Finanziellen Revolution: Ein Tiefgang in die Welt des Dezentralen Finanzwesens

In der aufstrebenden Welt der Kryptowährungen und Blockchain-Technologie nimmt der Begriff „Decentralized Finance“ (DeFi) eine zentrale Rolle ein. DeFi repräsentiert eine neue Bewegung, die das traditionelle Finanzsystem durch die Nutzung von Blockchain-Technologien herausfordert. Die Idee ist simpel, aber revolutionär: die Entfernung von Intermediären und die Ermöglichung von Transaktionen, die direkt zwischen Parteien durchgeführt werden, sicher und transparent.

Das Konzept von DeFi ist nicht neu. Doch während Bitcoin die Tür zu dezentralen digitalen Währungen öffnete, erweitert DeFi diesen Rahmen zur Schaffung eines gesamten dezentralen Finanzsystems. Dieses umfasst eine breite Palette von Finanzdienstleistungen – einschließlich, aber nicht beschränkt auf, Kreditvergabe, Versicherungen und Asset Trading.

Ich habe mit Simon Molitor, Mitgründer des DeFi-Startups digitalsocial.id, über aktuelle Entwicklungen im DeFi-Markt und das Potenzial dieser neuen Bewegung gesprochen:

Philipp: Kannst du uns in einfachen Worten DeFi erklären?

Simon: Decentralized Finance (DeFi) versucht traditionelle Finanzdienstleistungen komplett ohne Intermediäre abzubilden. Die Idee lässt sich unter anderem auf das Bitcoin Whitepaper zurückführen, dass 2008 das Konzept hinter Bitcoin auf ideologischer und technischer Ebene erklärte. Bezüglich DeFi lässt sich besonders Bitcoins Credo “Verify – don’t trust” anwenden: hier verweist der bis heute unbekannte Autor des Bitcoin Paper auf den Grundsatz, Code als Gesetz anzusehen anstatt Gesetzen der “alten Welt” zu vertrauen. Die Grundidee ist also, sichere Finanzdienstleistungen anzubieten, die rein von Code überwacht werden. Hier kommt die Blockchain ins Spiel.

Distributed Ledger Technologie (DLT) beschreibt die Technologie dezentraler Datenbanken, die nicht von einer zentralen Stelle betrieben werden, sondern von einem Netzwerk aus vielen Computern (”Nodes”). Damit wird sichergestellt, dass a) Machtverhältnisse gleichmäßig und dezentral verteilt werden und b) Daten aufgrund der “Chain” in Blockchain unwiderruflich gespeichert werden. Einmal auf der Blockchain gespeichert und von allen Computern im Netzwerk bestätigt, kann eine Transaktion also nicht widerrufen werden.

In der Grafik sieht man die technischen Voraussetzungen für DeFi und wie die verschiedenen technischen Layer ineinandergreifen und wie verschiedene Anwendungen hierunter einzuordnen sind.

DeFi Stack by Cristina Hernando, DeFi Talents Cohort 05

Philipp: Warum gewinnt DeFi deiner Meinung nach an Bedeutung?

Simon: Ich glaube, dass Glück dort entsteht wo Möglichkeit auf Vorbereitung stößt: Distributed Ledger Technologie, Kryptographie und damit DeFi hatte Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Das Zeitfenster war offen. Nach der Finanzkrise 2008 konnten sich ausreichend “Early Adopter” in Internetforen finden, die an einem “Shadow Finanzsystem” ausreichend interessiert waren, um weiter an dessen Verwirklichung zu arbeiten. Und somit wurden die ersten Applikationen entwickelt, die Kryptographie nutzten, um Intermediäre zu eliminieren und peer-to-peer Transaktionen im Finanzwesen zu verwirklichen.

Heute kommen weitere globale Spannungen und eine beschleunigte finanzielle Ungleichheit dazu und kreieren ein Umfeld, in dem die Möglichkeit gegeben ist, ein dezentrales Finanzsystem aufzubauen. Wenn wir über die Vorteile von DeFi sprechen, wird ebenfalls klar, weshalb die Idee an Momentum gewinnt.

DeFi bietet als Konzept ganz klare Vorteile im direkten Vergleich mit der traditionellen Finanzwelt: DeFi ist Stand heute immer noch weitestgehend “permissionless” – ein Begriff, der im DeFi Bereich oft verwendet wird. Dahinter steckt die Tatsache, dass jeder Mensch auf dem Planeten mit einer Internetverbindung in der Lage ist, DeFi Services zu nutzen. Es wird nicht nach Nationalität, Farbe, Geschlecht, Alter oder sonstigen Attributen diskriminiert.

Letztlich ermöglicht DeFi anonyme oder pseudonyme Finanztransaktionen im Internet, was für die Befürworter von DeFi Technologie ein zentrales Menschenrecht darstellt.

Wichtig zu erwähnen: natürlich kommt jeder genannte Vorteil immer mit einer Gegenseite des Arguments. Doch an jedem möglichen Einwand, der dem werten Leser in den Kopf schießen mag, wird aktuell von mindestens einem hochtalentierten Team gearbeitet.

Philipp: War einzig die DLT-Technologie der Schlüssel hierzu oder gibt es noch andere Treiber?

Simon: Mit Sicherheit ist die Blockchain selbst das zentrale technologische Element, das Kryptowährungen, Decentralized Finance und alle anderen Web 3.0-spezifischen Ideen antreibt. Auf technologischer Ebene können wir jedoch noch ein Level tiefer gehen und ebenfalls sagen, dass die Open-Source-Natur vieler Blockchain-Apps ebenfalls zu einer beschleunigten Adaption führt. Viele Projekte sind komplett transparent in ihrer Code-Base, was dazu führt, dass sich Developer aus aller Welt an Projekten beteiligen und für rasanten Fortschritt sorgen. Oder aber es werden Applikationen “geforked”, was vereinfacht “kopiert” bedeutet: ein Team macht es sich zur Aufgabe ein bereits aktives Projekt neu zu denken und baut auf dessen Code auf, um eine verbesserte Version zu veröffentlichen.

Ebenfalls eine Ebene unter der DLT selbst befinden sich Smart Contracts. Smart Contracts sind digitale Verträge, mit denen Vereinbarungen zwischen Menschen oder Unternehmen getroffen werden können. Sie werden als „intelligent“ bezeichnet, weil sie Dinge automatisch erledigen können, ohne dass jemand prüfen und sicherstellen muss, dass alles richtig gemacht wird – Code is law. Bitcoin zum Beispiel ist eine Blockchain, die keine Smart Contract Funktion mit sich bringt, während Ethereum diese Funktion nativ unterstützt. Dies führte dazu, dass Bitcoin heutzutage keine nennenswerten Applikationen auf seiner Blockchain beherbergt. Ethereum auf der anderen Seite ist Heimat für die finanziell aufwendigsten DeFi Projekte.

Philipp: In welchen Bereichen siehst du das größte Potenzial für DeFi in Zukunft?

Simon: Im Grunde befinden wir uns bereits in einer Marktphase, in der ich mit Sicherheit sagen kann, welche Bereiche bereits ausreichend gut adaptiert wurden. Es handelt sich primär um genau die Dienstleistungen, die deine Bank sonst für dich übernehmen würde. Hier sprechen wir von Kreditvergabe, Währungstausch, Finanztransaktionen, Trading, Portfoliomanagement und sogar Versicherungen. Ein weiterer aufstrebender Bereich sind Prediction Markets. In der beigefügten Grafik können wir eine gute Übersicht sehen zu all den Playern, die sich aktuell im DeFi Umfeld bewegen. Hierbei kommen täglich neue hinzu.

Philipp: Welche wesentlichen Risiken und Probleme kommen im DeFi Bereich auf und wie gehen die Marktteilnehmer damit um?

Simon: Was wohl als erstes in den Sinn kommt sind Geldwäsche und anderweitig kriminelle Aktivitäten. Hier sei zu erwähnen, dass all diese Aktivitäten genauso gut wenn nicht sogar einfacher im traditionellen Finanzwesen möglich sind. Fiat-Währungen sind nach wie vor die bevorzugte Wahl von Kriminellen für Geldwäsche, da sie 800-mal häufiger verwendet werden als Kryptowährungen (Quelle). Auf Blockchains kann alles nachvollzogen werden – dieses Level an Transparenz macht es nicht leicht für Kriminelle. Es gibt Stand heute ausreichend Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, auffällige Aktivitäten zu offenbaren.

Ein anderer Elefant im Raum, wenn es um Probleme mit DeFi Apps geht: Hacks und Exploits. Bis Mitte 2023 konnten 148 individuelle Hacks verzeichnet werden, die für einen Verlust von etwa $4,28 Mrd. verantwortlich waren (Quelle). Das ist ein Problem. Blockchain Security & Audit ist ein relevantes Thema und alle namenhaften Protokolle und Apps in DeFi sind von mehreren Auditoren geprüft. Trotzdem muss hier weiterhin an Sicherheit gearbeitet werden.

Philipp: Kannst du uns ein Beispiel für ein, aus deiner Sicht, spannendes DeFi Projekt beschreiben?

Simon: Da gibt’s so einiges. Spannend ist ein gutes Wort für DeFi. Es gibt natürlich die Top-Protokolle wie zum Beispiel AAVE, Maker oder Compound in der dezentralen Kreditvergabe oder etwa Uniswap für Währungstausch. Als wirklich aufregend würde ich allerdings eher Projekte wie Ajna Finance beschreiben. Im Gegensatz zu den zuvor genannten Kreditvergabe-Protokollen ist Ajna nicht auf externe Daten (sog. Oracles) angewiesen, die off-chain Daten wie zum Beispiel aktuelle Kurse von Währungen in Echtzeit in die Smart Contracts der App senden. Diese Unabhängigkeit von Oracles macht Ajna ebenfalls sicherer, da Oracles oft eine zentrale Abhängigkeit für die Funktionalität solcher Apps darstellen. Letztlich ist Ajna ebenfalls so aufgebaut wie in einer der ersten Antworten von mir erwähnt: das Projektteam hat sich von Ajna gelöst und das Protokoll läuft nun einfach – ohne dass es weitere Governance benötigt. Ziemlich cool.

Das Gespräch mit Simon hat ein helles Licht auf das aufregende und sich rasch entwickelnde Feld der Decentralized Finance (DeFi) geworfen. Durch die Eliminierung von Intermediären bietet DeFi eine robuste und transparente Finanzinfrastruktur, die auf dem Prinzip „Verify – don’t trust“ beruht. Dabei wird die Macht gleichmäßig verteilt und die Transaktionen werden unwiderruflich auf der Blockchain gespeichert. Der richtige Zeitpunkt, kombiniert mit technologischen Fortschritten, hat das Wachstum von DeFi begünstigt, insbesondere in Bereichen, die traditionell von Banken abgedeckt wurden, wie Kreditvergabe, Währungstausch, und Versicherungen.

In zweiten Teil des Interviews gehen wir noch tiefer auf die Idee von digitalsocial.id ein. Nicht verpassen!


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Philipp Misura
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