Wholesale Central Bank Digital Currency und Distributed-Ledger-Technologie – Die nächste Entwicklungsstufe des Finanzsystems?

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Die Finanzbranche in Europa befindet sich aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung inmitten eines Transformationsprozesses. Eine bedeutende Entwicklung in diesem Zusammenhang ist die Einführung digitaler Währungen auf Basis der Distributed-Ledger-Technologie (DLT). Während in den Anfangsjahren dieser Entwicklung insbesondere private Akteure wie die Bitcoin-Community oder das Libra-Projekt von Facebook im Fokus standen, sind es heute vor allem die Zentralbanken, die intensiv an der Einführung und Weiterentwicklung digitaler Währungen arbeiten.

Es ist wichtig, zwischen zwei Arten digitaler Zentralbankwährungen zu unterscheiden: der sogenannten Retail Central Bank Digital Currency (CBDC) und dem Wholesale CBDC. Während der Retail CBDC eine grundlegende Neuerung darstellen würde, existiert der Wholesale CBDC bereits im europäischen Zahlungsverkehr. (Siehe auch unseren ersten Blog-Post zum Retail-CBDC und den möglichen Auswirkungen auf die deutsche Bankenwelt).

Der Retail CBDC wird oft als digitales Gegenstück zu Banknoten und Münzen betrachtet und ermöglicht direkte Transaktionen zwischen Personen oder Unternehmen ohne Vermittlung durch Banken oder andere Finanzintermediäre. Der Wholesale CBDC hingegen bezieht sich auf eine digitale Währung, die von der Zentralbank ausschließlich für den Einsatz zwischen Finanzinstituten und großen institutionellen Marktteilnehmern entwickelt wurde. Diese Form der Transaktion von digitalem Zentralbankgeld ist nicht neu und wurde bereits Ende der 1990er Jahre durch die europäischen TARGET-Dienste (Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System) eingeführt.

Die Europäische Zentralbank (EZB) untersucht derzeit, wie neue Entwicklungen wie DLT mit den bestehenden TARGET-Diensten interagieren können, um diese effizienter zu gestalten. Mögliche Verbesserungen könnten eine beschleunigte Abwicklungsgeschwindigkeit, transparentere Transaktionen, finanzielle Stabilität, Skalierbarkeit von Systemübergreifenden Transaktionen und ein verbessertes Risikomanagement umfassen. Die genaue Höhe der potenziellen Steigerungen hängt jedoch von den tatsächlichen Anwendungsfällen im Markt und möglichen Konsolidierungstendenzen bei den DLT-Plattformen ab, wie Fabio Panetta (EZB) bereits im Jahr 2022 betonte. [1]

Auch andere Zentralbanken evaluieren derzeit mögliche Effizienzsteigerungen durch die Integration von DLT in bestehende Wholesale CBDC-Strukturen. In einer aktuellen Stellungnahme vom 26. Juni 2023 kündigte der Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Thomas Jordan, die Pilotierung eines digitalen Wholesale CBDC des Schweizer Franken für das laufende Kalenderjahr an, um echte Transaktionen mit realen Anwendungsfällen zu testen. [2]

Doing well by doing good – mithilfe von Smart Contracts?

Ein vielversprechender Anwendungsfall für diese Symbiose besteht in der Nutzung von Smart Contracts. Diese „smarten“ Verträge sind gekennzeichnet durch programmierbare Regeln, die auf einer Blockchain hinterlegt werden und automatisch ausgeführt werden, sobald bestimmte vordefinierte Bedingungen erfüllt sind. Dabei bedarf es keiner weiteren Kontrollinstanz, um die Aktion auszuführen oder zu genehmigen.

Smart Contracts könnten beispielsweise bei der Administration von Geldern aus ESG-Anleihen (umweltbezogene und soziale Anleihen) zum Einsatz kommen. Diese Anleihen, oft als „grüne“ oder „soziale“ Anleihen bezeichnet, verpflichten den Emittenten, die Gelder von Investoren für bestimmte ESG-Zwecke zu verwenden. Durch die Nutzung eines auf der Blockchain basierenden Wholesale CBDCs könnten die beabsichtigte Verwendung der Gelder mit vorab definierten Regeln sichergestellt und auf der Blockchain bis zur endgültigen Auszahlung für den beabsichtigten und zugesagten Zweck nachverfolgt werden. Dies würde das Risiko des „Greenwashings“ verringern, die Berichterstattung verbessern und somit das Vertrauen und die Transparenz im gekennzeichneten ESG-Anleihenmarkt unterstützen. [3]

Ein weiteres Anwendungsbeispiel wäre der Einsatz von Smart Contracts im Derivatehandel. Ein Derivat könnte so gestaltet sein, dass es automatisch ausgezahlt wird, wenn ein bestimmter Aktienindex einen vordefinierten Wert erreicht. Die Regeln für die Auszahlungen wären transparent für alle Marktteilnehmer einsehbar und würden bei Erfüllung der Bedingung automatisch ausgeführt werden, ohne dass ein weiterer Finanzintermediär eingreifen müsste. Dies würde die Effizienz und Geschwindigkeit von Finanztransaktionen erhöhen und das Risiko menschlicher Fehler oder Manipulationen reduzieren.

Insgesamt verspricht die Integration von DLT und Smart Contracts in Wholesale CBDCs erhebliche Vorteile. Die Automatisierung, Steigerung der Transparenz und Risikominderung können den Finanzsektor nachhaltig revolutionieren und innovative Geschäftsmodelle ermöglichen. Durch die Nutzung dieser Technologien können Transaktionskosten reduziert, Prozesse beschleunigt und neue Möglichkeiten für Finanzintermediäre und Marktteilnehmer geschaffen werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Wholesale CBDCs und Distributed-Ledger-Technologie eine vielversprechende Entwicklung im Finanzsystem darstellen und das Potenzial haben, den Sektor weiter zu transformieren.



[1] https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2022/html/ecb.sp220926~5f9b85685a.de.html
[2] https://www.handelsblatt.com/finanzen/geldpolitik/geldpolitik-snb-pilotprojekt-fuer-digitales-zentralbankgeld-noch-dieses-jahr/29226314.html
[3] https://www.esm.europa.eu/system/files/document/2023-03/DP%2022%20FINAL.pdf


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